Erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz

Kriterien, Prüfung und Leistungen

Jennifer Albrecht | 3. September 2014

Menschen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz haben ebenfalls Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung. Diese Leistungen können auch ohne Pflegestufe oder zusätzlich zu einer Pflegestufe in Anspruch genommen werden.
Eingeschränkte Alltagskompetenz

Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz haben besondere Anforderungen. Die Pflegekasse übernimmt daher die Kosten für bestimmte Sachleistungen. | Foto: © Ocskay Bence – Fotolia.com

Während bei der Vergabe von Pflegestufen häufig nur körperliche Fähigkeiten einbezogen werden, richten sich die Leistungen bei erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz an Menschen geistigen Behinderungen, psychischen Erkrankungen oder Demenz. Der besondere Betreuungsbedarf bei Betroffenen berechtigt diese dazu, zusätzliche bzw. besondere Leistungen in Anspruch zu nehmen.

Die Leistungen erhalten Menschen, die bereits eine Pflegestufe haben, zusätzlich. Personen, die noch keine Pflegestufe haben, weil ihr Bedarf an Hilfe bei der Grundpflege noch unter 45 Minuten liegt, können diese Leistungen jedoch auch in Anspruch nehmen. Dieser Fall wird umgangssprachlich häufig als „Pflegestufe 0“ bezeichnet.

Kriterien für die Einstufung durch den MDK

Leistungen für eine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz müssen wie Pflegestufen bei der Pflegekasse beantragt werden. Ob dem Antrag stattgegeben wird, wird durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen geprüft. Anhand von 13 Kriterien kontrolliert ein Gutachter, ob eine eingeschränkte Alltagskompetenz vorliegt und in welchem Maße sie vorliegt.

Mittels folgender Kriterien wird die Beurteilung des MDK vorgenommen:

Kriterium Symptome
1 Unkontrolliertes Verlassen der Wohnung
  • Planloses Verlassen der Wohnung
  • Suchen der Eltern, Ehegatten oder Kinder außerhalb der Wohnung
  • Will zur Arbeit gehen
2 Verursachen bzw. Verkennen gefährlicher Situation
  • Gefährdendes Eingreifen in den Straßenverkehr
  • Verlassen der Wohnung in unangemessener Kleidung
3 Unsachgemäße Benutzung von Gegenständen/Substanzen
  • Unangemessene Nutzung von Küchengeräten
  • Unsachgemäßer Umgang mit Medikamenten oder Chemikalien
  • Essen verdorbener Lebensmittel oder Zigaretten
4 Tätlich bzw. verbal aggressives Verhalten
  • Schlagen, Beißen, Treten, Spucken
  • Zerstörung von Gegenständen
  • Selbstverletzendes Verhalten
  • Beschimpfungen, Beleidigungen
5 Inadäquates Verhalten
  • In die Wohnung koten und urinieren
  • Essen oder Verschmieren von Kot
  • Übersteigerter Betätigungs- bzw. Bewegungsdrang
  • Zerpflücken von Inkontinenzeinlagen
  • Nesteln, Zupfen, waschende Bewegungen
  • Sexuelle Belästigung anderer Personen
  • Grundloses Rufen/Schreien
  • Verstecken, Verlegen oder Sammeln von eigenen oder fremden Gegenständen
6 Fehlende Wahrnehmung der eigenen körperlichen bzw. seelischen Bedürfnisse
  • Hunger bzw. Durst wird nicht wahrgenommen oder geäußert
  • Speisen und Getränke werden nicht oder in übermäßigen Maße verzehrt
  • Schmerzen bzw. Verletzungen werden nicht wahrgenommen
  • Schmerzen bzw. Verletzungen können nicht lokalisiert werden
  • Fehlender oder fehlende Wahrnehmung von Harn- bzw. Stuhldrang
7 Fehlende Mitarbeit bei therapeutischen bzw. schützenden Maßnahmen
  • Apathisches Liegen im Bett
  • Kein Verlassen eines zugewiesenen Platzes ohne Anweisung
  • Nahrungsverweigerung
  • Keine Möglichkeit der Aktivierung
8 Störung höherer Hirnfunktionen
  • Keine Wiedererkennung vertrauter Personen
  • Keine Fähigkeit zum Umgang mit Geld
  • Keine Fähigkeit zur Artikulation
  • Orientierungslosigkeit
  • Fehlendes Erinnerungsvermögen
9 Störung des Tag-/Nacht-Rhythmus
  • Verschobene Wach- und Schlafzeiten
  • Nächtliche Unruhe
  • Wecken von Angehörigen
  • Verlangen von Mahlzeiten in der Nacht
10 Unfähigkeit eigenen Tagesablauf zu planen
  • Unfähigkeit zur Planung regelmäßiger Tätigkeiten der Körperpflege, Ernährung und Mobilität
  • Unfähigkeit zur Planung von Aktivitäten
11 Verkennen von Alltagssituationen
  • Paranoia
  • Optische oder akustische Halluzinationen
  • Angst vor eigenem Spiegelbild
  • Nahrungsverweigerung aus Angst vor Vergiftung
12 Labiles oder unkontrolliertes emotionales Verhalten
  • Plötzliches unmotivierten und/oder unangemessenes Weinen
  • Distanzlosigkeit, Euphorie, Reizbarkeit oder Misstrauen in unüblich hohen Ausmaß
13 Niedergeschlagen, Verzagtheit, Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit aufgrund von therapieresistenter Depressionen
  • Ständiges „Jammern“ und Klagen
  • Ständiges Beklagen der Sinnlosigkeit des Lebens und Tuns

 

Aber keine Angst! Nicht alle diese Kriterien müssen erfüllt sein, damit eine Einstufung erfolgen kann.

Erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz – diese Kriterien müssen erfüllt sein

Grundsätzlich erfolgt eine Einteilung in zwei Stufen.

I.            Die Alltagskompetenz gilt als erheblich eingeschränkt, wenn

der Betroffene zwei der Kriterien, davon mindestens eines der Punkte 1. bis 9., dauerhaft erfüllt.

Ein Beispiel

Max Mustermann erfüllt das Kriterium „Inadäquates Verhalten“ (5.) und das Kriterium „Labiles oder unkontrolliertes emotionales Verhalten“ (12.). Damit gilt Max in seiner Alltagskompetenz als erheblich eingeschränkt.

II.            Die Alltagskompetenz gilt als in erhöhtem Maße eingeschränkt, wenn

der Betroffene erheblich eingeschränkt ist und zusätzlich mindestens ein Kriterium aus 1. bis 5., 9. oder 11. erfüllt ist.

Ein Beispiel

Martina Mustermuss erfüllt die gleichen Kriterien wie ihr Mann Max (s.o.) und erfüllt zusätzlich das Kriterium „Unsachgemäße Benutzung von Gegenständen/Substanzen“ (3.). Damit gilt Martina in Ihrer Alltagskompetenz als in erhöhtem Maße eingeschränkt.

Die Leistungen bei eingeschränkter Alltagskompetenz

Hat der MDK eine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz bestätigt und die Leistungen wurden durch die Pflegekasse genehmigt, hat der Versicherte Anspruch auf einen Betreuungsbetrag. Je nach Betreuungsbedarf wird ein Grundbetrag oder ein erhöhter Betrag gezahlt:

  • Bei einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz wird der Grundbetrag in Höhe von 100€ pro Monat bzw. 1.200€ pro Jahr gezahlt.
  • Bei einer in erhöhtem Maße eingeschränkten Alltagskompetenz wird der erhöhte Betrag in Höhe von 200€ pro Monat bzw. 2.400€ pro Jahr gezahlt.

Dieser Betrag wird nicht direkt an den Versicherten ausgezahlt, sondern dient der Erstattung von Aufwendungen, die durch die Inanspruchnahme von Tages- oder Nachtpflege, Kurzzeitpflege, zugelassener Pflegedienste und niedrigschwelliger Betreuungsangebote entstanden sind. Wird der Betrag in einem Jahr nicht vollständig ausgeschöpft, wird er auf das darauffolgende Kalenderjahr übertragen.

Seit dem 01. Januar 2013 werden außerdem Pflegegeld und Pflegesachleistungen bei der häuslichen Pflege aufgestockt, wenn eine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz vorliegt. Dies gilt auch für Versicherte mit der so genannten „Pflegestufe 0“ – auch hier können jetzt Pflegegeld bzw. Pflegesachleistungen in Anspruch genommen werden.

 

Quellen

  1. PEA-Assessment bei Demenz: Eingeschränkte Alltagskompetenz unter http://www.pflegeversicherung.net/demenz (abgerufen am 12.02.2014)
  2. Ratgeber zur Pflege. Alles, was Sie zur Pflege wissen müssen, Berlin, 2013, S. 31-32, 47.
  3. Pflege ABC – Zusätzliche Betreuungsleistungen unter http://www.pflege-abc.info/pflege-abc/artikel/zusaetzliche_betreuungsleistungen.html (abgerufen am 12.02.2014)
  4. Eingeschränkte Alltagskompetenz – Kriterien & Leistungen unter http://www.deutsche-privat-pflege.de/eingeschraenkte-alltagskompetenz/ (abgerufen am 12.02.2014)